Was Wissen in der Medizin wert ist

Auch erschienen auf wissenschaft.de und focus.de.  

Ist Medikament XY wirksam? Welche Patienten werden besser nach Methode A behandelt als nach Methode B? Das Deutsche Cochrane Zentrum in Freiburg sichtet und bewertet die klinischen Studien zu solchen Fragen. So liefert es verlässliche und unabhängige Gesundheitsinformationen. Doch jedes Jahr muss es erneut für seine Finanzierung kämpfen.

 Eine Medizin, die auf gesichertem und überprüfbarem Wissen beruht, ist Deutschland nicht viel wert. Zu diesem Schluss kann man jedenfalls kommen, wenn man seinen Blick auf die Finanzierung des Deutschen Cochrane Zentrums richtet. Benannt ist es nach dem britischen Arzt Archibald Leman Cochrane (1909 bis 1993).

Das Zentrum ist die nationale Vertretung der Cochrane Collaboration. Dieses globale Netzwerk besteht aus Wissenschaftlern, Gesundheitsfachleuten und Patienten, die Entscheidungen in der Gesundheitsversorgung verbessern wollen. Dafür stellt die Organisation systematisch unter anderem in Übersichtsartikeln – Reviews – frei zugängliche Gesundheitsinformationen zusammen, die jeweils dem aktuellen Stand der Forschung entsprechen. Das klingt einfach und ist doch sehr kompliziert. Allein schon wegen der enormen Anzahl der klinischen Studien, mit denen die Wirkung, die Nebenwirkung und der Nutzen von medizinischen Verfahren geprüft wird: Wohl eine Million solcher Studien existieren derzeit und jährlich werden 20.000 neue veröffentlicht.

Schwächelnde Studien

Vor allem aber ist stets zu fragen: Waren die Studienbedingungen fair? Wurden systematische Fehler gemacht? Wurden alle Daten publiziert? Ist die verbale Interpretation der Daten in Ordnung? Tatsächlich haben viele Studien Schwächen. Weil die Planer nicht genügend auf die Fallstricke solcher Studien geachtet haben oder weil das geschäftliche Interesse der Industrie manche Studie beeinflusst. Die Cochrane Collaboration hat das im Blick.

Wenn Ärzte oder Apotheken ihre Patienten bestmöglich behandeln wollen, so sollten sie die Ergebnisse von klinischen Studien einbeziehen. Doch diese erscheinen heute nahezu ausschließlich in englischsprachigen Zeitschriften, zu denen Ärzte und Apotheken zudem häufig keinen einfachen Zugang haben. Das erschwert den Weg des Wissens von der klinischen Forschung in die Praxis. Da hilft speziell Cochrane Deutschland, diese Barriere zu überwinden.

 

Auf wissenschaft.de findet sich zum Thema auch meine Rezension eines Buches mit dem reißerischen Titel „Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität“.

 

2014 und 2015 hat der Bund die Arbeit des Deutschen Cochrane Zentrums mit jeweils rund 230.000 Euro Projektmitteln gefördert. Das geht aus der kürzlich veröffentlichten Antwort auf eine kleine Anfrage der Fraktion „Die Linke“ hervor. Das ist ein Kleinstbetrag angesichts von rund 194 Milliarden Euro, die allein die Gesetzlichen Krankenversicherungen 2014 für die Gesundheit der Deutschen auszahlten. Vor allem aber muss das Zentrum Projektmittel jedes Kalenderjahr neu beantragen. Eine der Folgen: Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mussten sich in den letzten Jahren jeweils im Oktober arbeitssuchend melden, weil keine rechtsverbindliche Finanzierungszusage für ihre Stelle vorlag.

Wenig Geld für eine wichtige Aufgabe

Da erscheint es wie ein bloßes Lippenbekenntnis, wenn die Bundesregierung schreibt: „Mit seiner Arbeit leistet das Deutsche Cochrane Zentrum eine wichtige Aufgabe für das deutsche Gesundheitswesen.“ Künftig werde die Bedeutung dieser Arbeit sogar noch zunehmen. Das wirkt ein bisschen so, als ob Eltern im Bekanntenkreis mit der schulische Leistung ihrer Kinder angeben und zugleich den Kindern das Geld für Buchlektüre und Lernsoftware vom Taschengeld abziehen. Ein solches Verhalten zu verstehen, fällt schwer. Möglicherweise hat das Geschäft mit der Gesundheit einflussreichere Fürsprecher als eine vernünftige Medizin.

 

 

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