Die letzten Tage

„Was geschieht, wenn ein Mensch stirbt?“ Was die Wissenschaft heute weiß und wie die moderne Palliativmedizin dem Tod begegnet – darüber berichtet der Wissenschaftsjournalist Frank Frick in der Januar-Ausgabe 2018 von „bild der wissenschaft“.

Frank Frick gibt Antworten auf die zehn wichtigsten Fragen zum Thema Sterben. Hier zwei Beispiele.

Lassen sich Schmerzen wirkungsvoll bekämpfen?

„Bei weitaus den meisten Patienten lassen sich die Schmerzen soweit lindern, dass sie gut aushaltbar sind“, sagt Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Viele seiner Patienten würden dabei eine Medikamentendosierung bevorzugen, bei denen sie die Schmerzen gut ertragen können, aber Nebenwirkungen wie etwa eine mangelnde Konzentrationsfähigkeit nicht spüren würden. Dass es auch einzelne Schwerstkranke gibt, deren Schmerzen nicht ausreichend verringert werden können, verschweigt Radbruch nicht.

Insbesondere für Krebskranke, die unter Tumorschmerzen leiden, setzen Palliativmediziner Opioide wie Morphin ein.  Viele Patienten, aber auch manche Ärzte, haben Vorurteile gegenüber diesen Medikamenten. Sie befürchten vor allem, dass Opioide süchtig – abhängig – machen. Das stimmt nicht: So sind etwa nicht immer höhere Dosen notwendig, um die ursprünglich durch niedrige Dosen erreichte Wirkung zu erzielen. Schmerzpatienten verspüren nicht den Zwang, Morphin einzunehmen, um einen bestimmten Bewusstseinszustand zu erreichen. Sie wollen einfach nur ihre Schmerzen loswerden. Oft wird auch angenommen, dass Morphin den Kranken dahindämmern lässt. „Das Gegenteil ist der Fall. Wenn Sie unter stärksten Schmerzen leiden, sind Sie eher durch die unerträglichen Dauerschmerzen benebelt und nur darauf fixiert“, so Sven Gottschling, Palliativmediziner und Chefarzt am Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg. Er wendet sich auch energisch gegen den Irrglauben, der Einsatz von Morphin beschleunige den Tod.

Sollten Menschen am Lebensende künstlich ernährt werden?

Palliativmediziner sind sich einig: Es gehört zum Sterbeprozess, wenn Menschen am Lebensende wenig oder gar nicht essen und trinken. Bedeutet: Sie verhungern oder verdursten nicht wie ein eigentlich gesunder Mensch, der nicht an genügend Nahrung oder Wasser kommt. Denn Sterbende haben einfach keinen Hunger und er quält sie somit auch nicht. Und wenn Menschen während ihrer schwerwiegenden Erkrankung leicht austrocknen, so steigt ihr Durstgefühl nicht an. „Wir wissen, dass diese leichte Austrocknung weder für den Betreffenden schmerzhaft ist, noch dass sich dadurch anderweitige leidvolle Symptome einstellen“, so der Homburger Professor Sven Gottschling. Wenn Sterbenskranke ein Durstgefühl haben, so ändert es sich nicht mit der Menge zugeführter Flüssigkeit. Pflegende können es stillen, indem sie die Mundschleimhäute des Sterbenden befeuchten.

Sein Kollege Gian Domenica Borasio sieht sogar Vorteile in einer verringerten Flüssigkeitszufuhr am Lebensende: „Insgesamt scheint das Sterben in einem Zustand des leichten Wassermangels die physiologisch für den Körper am wenigsten belastende Form des Sterbeprozesses darzustellen.“ Einer der Gründe: Wenn Sterbenskranke relativ wenig Flüssigkeit zu sich nehmen, so sinkt auch das Risiko, dass sich in Gewebe, Lunge oder Bauch Wasser ansammelt.

Vergleichsstudien zeigen mehrheitlich, dass Krebspatienten in den letzten Lebenswochen nicht von einer künstlichen Flüssigkeitszufuhr profitieren. Sie haben genauso wenig Durst, ihnen ist genauso häufig übel und bei ihnen kommt es genauso zu Verwirrtheitszuständen wie bei Krebspatienten, denen keine Flüssigkeit zugeführt wurde. „Nach sorgfältiger Abwägung im Einzelfall sollten künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr bei Sterbenden nicht gegeben werden“, folgert daher auch die Palliativmedizin-Leitlinie für Krebspatienten. Die durchschnittliche Lebenszeit verringert sich durch künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr ebenfalls nicht – auch nicht bei Menschen mit fortgeschrittener Demenz, die nicht mehr selbsttätig schlucken. Einer niederländischen Studie mit 178 Teilnehmern zufolge nahmen die belastenden Beschwerden von dementen Pflegebewohnern sogar ab, nachdem entschieden wurde, auf künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr zu verzichten.

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